Herr Seelig war offensichtlich ein Buchliebhaber

(↬ English translation at the end of the page)

Ein Neuzugang für meine Exlibris-Sammlung,

… erfreut entdeckt, als ich eins der Bücher aufschlug, die ich mir bei einer Wohnungsauflösung aussuchen durfte. Erst wollte ich gar nicht hin, weil ich befürchtete, dass ich dem einen oder anderen Buch nicht würde widerstehen können. („Du sollst ja nur mal gucken! Und mir beim Tragen helfen.“) Tja …

Eins der Bücher, die ich einfach mitnehmen musste (weil sie sonst im Müll gelandet wären), war Till Eulenspiegel von Erich Kästner, illustriert von Walter Trier. Erst zu Hause entdeckte ich dann das Exlibris. Ich vermute, es stammt wie das Buch aus den späten 1940er oder den 1950er Jahren.

Herr Seelig war offensichtlich ein Buchliebhaber, dazu hochgewachsen und ziemlich sicher ein Pfeifenraucher. Neben vielen Büchern besaß er vermutlich auch Humor; die kleine Graphik vermittelt mir ein selbstironisches Augenzwinkern des Dargestellten.

Leider ist das Exlibris nicht signiert. Gerne wüsste ich, wer es gestaltet hat. War es möglicherweise Herr Seelig höchstselbst?
Oder besaß Frau Seelig zeichnerisches Talent und hat mit wenigen Strichen festgehalten, wie ihr Mann nach Feierabend oder am Wochenende lesend, rauchend in seinem Lieblingssessel entspannte?
Lässt die Darstellung der kleinen Falten in den Hosenbeinen darauf schließen, dass hier ein hausfraulicher Blick auf dem Gatten ruhte?

Da das Buch aus der Privatbibliothek einer hier in Essen verwurzelten Familie stammt, ist die Idee, dass der lesende Herr Seelig zum Bekanntenkreis gehörte und gleichfalls hier wohnte, vielleicht ebenfalls nicht zu weit hergeholt.

Eine Internetsuche war zunächst begrenzt ergiebig.
Im Norderneyer Badekurier vom 5. Juli 1952 ist zu lesen, dass Werner-A. Seelig „mit Frau“ aus Essen Anfang Juli im Nordseeheim als Gäste erwartet wurden.
Natürlich konnte ich es nicht belegen, doch ich glaubte, dass es der Gesuchte war.
Demnach wohnte er zumindest in den 1950er Jahren in Essen.

Über Umwege ergab eine spätere Suche:
Herr Seelig war Spiegel-Leser. Und wohl auch Jurist (falls ich den Titel „Syndikus“ richtig interpretiere). Das Magazin druckte 1956 einen Leserbrief von ihm ab, der mit Syndikus Werner A. Seelig, Großeinkaufsbund Westdeutscher Schuhhändler GmbH aus Essen unterzeichnet ist und so beginnt:

Zu Ihrem lustigen Artikel „Modeschuhe – Nach italienischer Lizenz“: Sie haben da – sicher ohne böse Absicht – eine Gedankenlosigkeit mitgemacht, die uns Einzelhändlern das Leben erschwert, nämlich die unglückliche Gleichsetzung von Handelsaufschlag mit Verdienstspanne!

Natürlich wisse jedes Kind, fährt Herr Seelig leicht ironisch fort, dass der Handelsaufschlag, von dem die Kosten des Händlers (und nicht zuletzt die Steuern!) bezahlt werden müssen, nicht dasselbe sei wie die Verdienstspanne, aber trotz allem Reichtum unserer lieben Muttersprache sei die klare Trennung dieser Begriffe offensichtlich sehr schwer. Dass man es sich in Amerika viel leichter mache, schreibt er weiter: Der Handelsaufschlag heiße dort „kaufmännischer Wertzuwachs“ und könne weder von gut- noch von böswilligen Interpreten falsch verstanden werden.

Dieser Leserbrief-Fund ließ mich mit neuem Schwung in die Recherche-Pedalen steigen, und siehe da:

„Der unvergessene“ Werner A. Seelig wurde 1976 Vorsitzender im Essener Ortsverbands des Kinderschutzbunds.
Liselotte Seelig, war ein Gründungsmitglied des Kinderschutzbundes in Essen und über 30 Jahren lang ehrenamtlich aktiv.
1987 wurden Werner A. Seelig und Liselotte Seelig für ihre Verdienste um den Kinderschutzbund in Essen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Wer das Exlibris entworfen hat, weiß ich leider immer noch nicht. Ich habe weiterhin Frau Liselotte in Verdacht. Wegen der Hosenfalten.

P. S.
Sollte nun jemand den Eindruck haben, dass ich gerne recherchiere: Es stimmt. :-)

Herr Seelig is reading

This new addition to my collection of bookplates wa a lovely surprise when I opened one of the books I was allowed to choose from at a flat clearance.
At first, I didn’t want to go because I feared that I wouldn’t be able to resist a book … or two. „Just have a look, then. And help me carry my spoils,“ my friend said. Well …

One of the books I simply had to take with me (because otherwise, they would have ended up in the garbage) was Till Eulenspiegel by Erich Kästner and illustrated by Walter Trier. It was only at home that I discovered the bookplate. I suspect it dates, like the book, from the late 1940s or the 1950s.

Herr Seelig was obviously a book lover; presumably, he was tall and quite certainly a pipe smoker. Besides many books, he probably possessed also a sense of humour. Would he have pasted this bookplate into his book otherwise?

Unfortunately, the bookplate is not signed. I would very much like to know who had designed it. Was it possibly Herr Seelig himself?
Or was Frau Seelig talented in that direction and captured with a few strokes how her husband liked to relax reading, smoking in his favorite armchair after work and on weekends?
Another thought: Does the depiction of the funny little creases in the trouser legs indicate a housewifely eye?

Since the book came to me from the library of a family that was rooted here in Essen, the idea that the reading Herr Seelig belonged to their circle of acquaintances and also lived here is perhaps not too far-fetched.

A search on the internet was not very helpful at first.
In the Norderneyer Badekurier of July 5th, 1952, it was announced that a Werner-A. Seelig „with wife“ from Essen were expected as guests in the Nordseeheim at the beginning of July.
Of course, I could not prove it, but I thought it was he who visited the North Sea island Norderney, a health resort. According to the spa paper, he lived, at least in the 1950s, in Essen.

A later search led in a roundabout way to this discovery:

Herr Seelig was a reader of Der Spiegel. And probably also a lawyer (if I understand the old-fashioned title „Syndikus“ correctly).
In 1956, the weekly news magazine printed his letter to the editor, which is signed with Syndikus Werner A. Seelig, Grosseinkaufsbund Westdeutscher Schuhhändler GmbH (roughly: West German Shoe Retailers‘ Cooperative) from Essen.
The letter begins like this:

With regard to your entertaining article „Fashion Shoes – Under Italian Licence“: You have – doubtless without any ill intent – fallen victim to a thoughtlessness that makes life difficult for us retailers, namely the unfortunate equation of retail mark-up and profit margin!

Of course, every child, Herr Seelig continues with a touch of irony, knows that the trading premium, from which the trader’s costs (and not least the taxes!) have to be paid, is not the same as the profit margin, but despite all the richness of our dear mother tongue, the clear separation of these terms is obviously very difficult.
He goes on to say that it is much easier to do this in America: there, the trade mark-up is called „commercial value-added“ and cannot be so easily misunderstood, either deliberately or out of lack of understanding.

The discovery of this letter to the editor made me start my research once again, and lo and behold:

„The unforgotten“ Werner A. Seelig became chairman of the Essen chapter of the Kinderschutzbund (Child Protection Association) in 1976.
Liselotte Seelig, was a founding member of the Kinderschutzbund in Essen and was active as a volunteer for over 30 years.
In 1987 Werner A. Seelig and Liselotte Seelig were awarded the Bundesverdienstkreuz (Order of Merit of the Federal Republic of Germany) for their services to the Kinderschutzbund in Essen.

I still don’t know who designed the bookplate. I continue to suspect Frau Liselotte. Because of the creases in the trouser legs.

P. S.
Should anyone be under the impression that I enjoy doing research: It’s true.

Text translated into English with the help of http://www.DeepL.com/Translator (free version)

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Über Gesine Schulz

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